Patrick Raddatz

New Jack Cities - Stadt-Sound-Beziehungen und Strukturen von House und Techno in den deutschen Anfangsjahren

Fachbereich Kunst

Mitte der 1980er-Jahre zeichneten sich die im Werden begriffenen Kulturen der elektronischen Clubmusik von House und Techno zunächst durch urbane und kontingente Szenen aus, mit wenigen ausgeprägten Orten, Distributionswegen, Organen und marginaler Rezeption. Als solche bildeten sie im Weiteren eigenständige stadtspezifische und im Stadtspezifischen sich alsbald verselbstständigende diverse (Sub-)Kulturen: In der Anonymität der Großstädte entstanden neue Spielorte und Freiräume, Safe Spaces der LGBTQIA+ Szenen, deren aller Schnittmengen das urbane Nachtleben mit einer neuen Qualität und Attraktivität des Ausgehens zu prägen begannen, noch bevor House und Techno ihre spätere Popularität, Definition und Tradition erlangten. 

New Jack Cities steht, neben der vielschichtigen Bedeutung und den kulturellen Verweisen von Jack als Vorname und als Begriff im angelsächsischen Sprachraum, explizit im Kontext der Clubmusik dieser Genres: Jack ist der unmarkierte fiktive Charakter der House Music, an dem sich zahlreiche Tracks in den Anfangszeiten abarbeiten. Chicagos junge House Szene konkurrierte bald mit dem Techno der Motorcity Detroit um die Avantgarde des Underground Sound im ausgehenden Jahrzehnt, im Nachhall von Disco und seinen Ausläufern verschmolzen New Jersey und New York zur New Jack City, von Chicago aus via UK löste Acid House einen Hype auf den Dancefloors in Europa aus. Im Zuge dessen entstand ein Spannungsfeld um begriffliche und kulturelle Hegemonien – zwischen den Kontinenten, Nationen und den Metropolen, und damit auch inmitten der BRD. Schon lange vor House und Techno propagierte der Kreislauf von Zeitsoldaten der alliierten Streitkräfte (u.a. Huck, 2018) einen zunehmend beschleunigten interkulturellen Austausch auch musikalischer Codes zwischen den Szenen der USA und Europa. In Köln entwarf der konzeptuell arbeitende Musiker Wolfgang Voigt unter dem Alias Love Inc. für das Frankfurter Force Inc. Label den Soundtrack einer New Jack City – als Symbol einer für alle offenstehenden Szene. 

Jack to the Sound of the Underground: Der [HR1] Titel des Promotionsprojekts verweist auf emergente bundesdeutsche Hot Spots der House und Techno Szene und auf meine Forschung im wissenschaftlichen Spannungsfeld zwischen Stadt als analytische Forschungskategorie (u.a. Berking & Löw, 2008) und Stadt als Topos für Clubkulturforschung innerhalb der Electronic Dance Music Culture Studies. 

Diese städtespezifische/stadtübergreifende Forschungstätigkeit zu Sound- und DIY-Kulturen (u. a. Lowndes, 2016) umfasst im ersten Komplex die Ausdifferenzierung der sich in Interdependenz und Konkurrenz befindlichen Szenen in ihrem konstitutiven Zeitraum von ca. 1985 bis 1995, in dem ihre ersten wesentlichen Ausprägungen und Entwicklungen erfolgten. Welche soziologischen Erkenntnisse und Zuordnungen ermöglicht »die Stadt« als Topos eines praxistheoretischen Ansatzes einer qualitativ-empirischen Clubkulturforschung (vgl. Reitsamer, 2016)? Eine stadtspezifische Ausdifferenzierung manifestiert sich hier gleichwohl in der Musik, sie wird über den eigenen städtischen Raum hinaus signifikant und gerinnt in der Reproduktion und Propagation zu einer stadtspezifischen kulturellen Konstruktion von urbaner Identität, von musikalischer Idiosynkrasie und ihren zugehörigen Sound Signifyern als deren Elemente. Welche Sound Signifyer sind das, und wie lassen sie sich differenzieren?

Musikalische Vorläufer wie u.a. Punk, Disco, Wave und ihre Subgenres demonstrierten zuvor, wie sich Szenen trotz kultureller Ablehnung und negativen Framings oder Marginalisierung ihre Freiräume, Schauplätze, Strukturen des Austauschs und Handels mit dem Selbstbild einer Gegenkultur erschufen. Insbesondere die Protagonist:innen von House und Techno profitierten von solchen Erfahrungen (vgl. u.a. Thornton, 2013) und einer kapitalistisch angetriebenen Obsoleszenz von Produktionsmitteln und Beschleunigung (Fisher, Ambrose & Reynolds, 2018), nicht selten in Distinktion zu den Vorläufern und in einer zunächst klaren Abgrenzung zum Mainstream und seinen Strukturen. Im zweiten Komplex geht es daher um die Erforschung von Bildung und Ordnung dieser in einem unbändigen Drang zur Selbstermächtigung und Unabhängigkeit in Distribution und Rezeption entstandenen und sich rapide wandelnden DIY- bzw. Nicht-Struktur-Strukturen, die sich eine neue Eigen- und Zeitlogik erschlossen, mit stadtspezifischen Markierungen und Framings.

  • Christian Huck (2018). Wie die Populärkultur nach Deutschland kam. Transatlantische Geschichten aus dem 20. Jahrhundert. Hamburg: Textem Verlag.
  • Helmuth Berking & Martina Löw (Hrsg.) (2008). Die Eigenlogik der Städte. Neue Wege für die Stadtforschung (= Interdisziplinäre Stadtforschung, Band 1), Frankfurt u.a.: Campus.
  • Sarah Lowndes (2016). The DIY Movement in Art, Music and Publishing. Subjugated Knowledges (= Routledge Research in Cultural and Media Studies). Taylor and Francis.[HR2]
  • Rosa Reitsamer (2016). Die Praxis des Techno. Zur theoretischen und methodischen Erfassung elektronischer Musikkulturen. In: Kim Feser & Matthias Pasdzierny (Hrsg.), techno studies. Ästhetik und Geschichte elektronischer Tanzmusik. Berlin: b-books, S. 29–41.
  • Sarah Thornton (2013). Club Cultures. Music, Media and Subcultural Capital. New York, NY: John Wiley & Sons.
  • Mark Fisher, Darren Ambrose & Simon Reynolds (Hrsg.) (2018). K-Punk. The collected and unpublished writings of Mark Fisher (2004–2016). London, UK: Repeater. 

Betreuende:

  • Prof. Dr. Marc Ries​
  • Prof. Heiner Blum​

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