Heinz und Gisela Friederichs Stiftungsprofessur

20 years ago
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Die Reihe Grenzgänger wird dieses Jahr von Sebastian Oschatz weitergeführt. Schwerpunkt der Gastprofessur ist die Schnittstelle von Gestaltung und Informatik. Diese Schnittstelle wird im Entwurf interaktiver Systeme zunehmend relevant. Informatik und Gestaltung sind zunächst komplementär angelegt, dennoch tauchen immer mehr Aufgaben auf, die eine enge Verzahnung der Arbeitsfelder erfordern. Die Zusammenarbeit ist oft durchaus problematisch: Aus gegenseitiger Sicht von Informatik und Gestaltung lässt sich die jeweils andere als „Entstaltung“ bzw. „Formatik“ diskreditieren. Darum kann es jedoch nicht gehen: Gelungene interaktive Systeme erfordern eine Synthese aus beiden Disziplinen und das Überschreiten von Grenzen. Die Professur will den Studierenden erlauben, einen präzisen Blick auf die „andere Seite“ zu gewinnen:

Kernstück ist zunächst einmal die wöchentliche Vorlesung mit dem harmlosen Titel „Was ist ein Computer“. Anhand der Ideengeschichte der als Computer bekannten „Universalmaschine“ werden deren Prinzipien erklärt. Welche Vorgänge laufen intern ab? Inwieweit sind die heute vorgefundenen computerbasierten Werkzeuge im Gestaltungsbereich als gegeben hinzunehmen? Wie sind diese aus künstlerischer Sicht zu hinterfragen? Welche Utopien stecken hinter ihrem Entwurf? In welchem Maße sind alternative Werkzeuge denkbar? Wie definieren ökonomische Kalküle die existierenden Werkzeuge?
Die Vorlesung verfolgt einen historischen Ansatz aus zweierlei Sicht: Zum einen wird die Universalmaschine aus ideengeschichtlicher Perspektive her von den ersten Zeichen und Zählsteinen, über Ziffern, Rechnen, Buchdruck, Webstühle, Boolsche Algebra, Sampling und Church-Turing-These hergeleitet – zum anderen technisch von den einzelnen Elektronen über Schaltkeise, Gatter, Mikroprozessoren, Betriebssystemen bis hin zu Graphischen Interfaces vorgestellt. Moderne Computersysteme sind die komplexesten Artefakte, die die Menschheit hervorgebracht hat, da sie in uferlosem Maße alles bis dahin existierende Wissen in sich aufnehmen können. Der historische Ansatz erlaubt es, mit Blick auf die Didaktik, die Basisinnovationen an denjenigen Stellen zu beleuchten, wo sie noch sichtbar und sonderbar sind. Die Vorlesung wird von zahlreichen Bildern und einem Filmprogramm unterstützt.

Der Kurs „Bildnehmende Bildgebende Verfahren“ behandelt das Thema Interaktion unter einem wesentlich praktischeren Aspekt: Wie lassen sich interaktive Systeme realisieren, die aus bewegten Bildern wieder bewegte Bilder machen? Welche gestalterischen Möglichkeiten eröffnen sich dadurch? Technisch besteht ein solches System aus Kameras und Projektoren oder Bildschirme, die über einen hinreichend schnellen Computer verbunden sind – erstere sind seit Jahren in Videokunst und -technik bekannt, letztere erst in den letzten Jahren verfügbar geworden.
Der Kurstitel fordert zunächst nur ein abstraktes Prinzip – die Anwendungen im Bereich Performance, Installation, Visualisierung oder Filmproduktion sollen von den Studenten selbst erarbeitet werden. In dem Kurs wird die bei MESO entwickelte graphische Programmiersprache VVVV eingesetzt, die solchen Problemstellungen einen spielerisch-experimentellen Zugang erlaubt. Der Kurs findet in einer Ausstellung seinen Abschluss. Dipl.-Des. Sven Bauer führt im Fachbereich Medieninformatik an der Fachhochschule Wiesbaden einen ähnlichen Kurs durch, und es soll Gelegenheit zum Ideenaustausch gegeben werden.

Das Seminar „Creative Common“ behandelt eine ganz konkrete Utopie der computerunterstützten Interaktion: Über weltweite Netze und triviale technische Reproduzierbarkeit lässt sich ein gemeinschaftlicher Raum (engl. Commons) konstruieren, in dem gemeinsame Arbeit in bisher unbekanntem Größenordnungen organisiert werden kann. So kann Arbeit z.B. völlig beiläufig geleistet werden: Die Firmen Amazon und Google kondensieren das Verhalten ihrer Besucher in Informationen für andere Besucher, winzige Arbeitspakete von Hunderttausenden von Benutzern ergeben wertvolle Informationen, die sich lukrativ weiternutzen lassen. Andere aktuelle Projekte arbeiten mit einer neuartigen Organisation des Ehrenamts: etwa die zahlreichen Open Source Projekte oder die freie Enzyklopädie Wikipedia. Wie bilden sich solche Projekte auf die Praxis des Designers ab? Wie ist in solchen Projekten kreative Arbeit möglich? Wie entstehen solche Projekte? Wie sind sie strukturiert? Welcher gesellschaftliche Nutzen entsteht? Wie lassen sich solche Projekte auch ökonomisch nachhaltig entwerfen? Hierzu werden verschiedene Texte aus gestalterischer, technischer, rechtlicher, soziologischer, ökonomischer und popkultureller Sicht herangezogen und in wöchentlichen Treffen diskutiert.

Dieses Seminar „Creative Commons“ wird um einen Medienpraxiskurs ergänzt, in dem angewandte Projekte zu den vorgestellten Themen realisiert werden können. Die Ergebnisse sollen permanent im Netz verfügbar sein und realen Nutzern zum realen Vorteil gereichen.

Die Vortragsreihe als Teil der Stiftungsprofessur schließlich, soll die gesellschaftlichen Auswirkungen der Schnittlinie zwischen Gestaltung und Informatik näher beleuchten. Unter dem Titel „Eigenes und Fremdes im Schüttelbad digitalen Designs“ sprechen an neun Abenden Künstler und Ingenieure, Forscher und Gestalter aus unterschiedlichen Perspektiven über die Frage wie sich die Linie zwischen Privatheit und Öffentlichkeit durch Technologie verschiebt, und welche Auswirkungen das auf Gestaltung hat.

23.11.2004 Dr. Dr. Norbert Streitz, Fraunhofer Institut IPSI, Darmstadt
Norbert Streitz forscht am Institut für integrierte Publikations- und Informationssysteme und untersucht, wie sich durch interaktive Raumkonzepte, neue Ein- und Ausgabemedien und allgegenwärtige versteckte Computer Prozesse in der Arbeitswelt neu strukturieren lassen.

07.12.2004 Werner Sinnhöfer, Micronas, Advanced Projects, Freiburg
Werner Sinnhöfer arbeitet bei dem Halbleiterhersteller Micronas. Mit der Abteilung Advanced Projects entwickelte er unter anderem einen der ersten Chips für portable MP3-Player.Seine Produkte werden millionenfach verkauft. Mit ein Grund, warum die Musikindustrie umdenken muss.

14.12.2004 Achim Wollscheid, Selektion, Frankfurt
Achim Wollscheid arbeitet im Bereich interaktiver Medienkunst, vielfach auch im Rahmen interdisziplinärer Projekte. Sein Hauptinteresse gilt der Beziehung zwischen Klang, Licht und Raum und den dadurch entstehenden Schnittstellen.

04.01.2005 Horst Krause, Hochfrequenzexperte, Berlin
Horst Krause ist nach einigen Unterbrechungen zur Funktechnik zurückgekehrt, und kann erklären, wie sich mit einfachen Mitteln freie Funknetze aufbauen lassen, mit denen man überall ins Internet kommen kann. Für die Fortsetzung seines Vortrags wird die Metallwerkstatt benötigt.

11.01.2005 Jeannette Hofmann, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Berlin
Jeannette Hofmann ist Politikwissenschaftlerin und forscht über Willensbildung im Internet und dem Wandel der Wissensordnung im digitalen Zeitalter. Wie lässt sich das Internet auf demokratische Grundlagen stellen? Wie wird Verantwortung verteilt?

18.01.2005 Mathias Wollin und Martin Schuster, meso aspekt1, Frankfurt
Mathias Wollin und Martin Schuster haben 2001 als Diplomarbeit die Webseite der HfG und das HfG-Intranet entworfen. 2005 wird ein Update erscheinen, das einige neue Möglichkeiten bietet. Die Kollegen sprechen über die Grundlagen und die Details.

25.01.2005 Anja Neitzert, Filmemacherin, Berlin
Anja Neitzert arbeitet als freie Filmemacherin, Bildcutterin und Sound Designerin und hat 1999 an der HfG ihr Diplom gemacht. Momentan arbeitet sie an einem Dokumentarfilm über Freie Software und Open Source Software. Getreu dem Titel des Films „Release Early “zeigt sie eine Vorfassung des Films in Ausschnitten.

01.02.2005 Sal Randolph, salrandolph.com, New York
Sal Randolph works as an experimenter in the field of social architectures as artworks. She will talk about the experience of trying to create social architectures deliberately. If current technologies make it possible for anyone to create their own organization, what are the tools you would need in order to do this yourself? What kind of organization would you make?

08.02.2005 Sebastian Lütgert, textz.com, Berlin
Sebastian Lütgert arbeitet als Autor, Programmierer und Künstler. Seine Arbeiten hinterfragen Themen des Copyrights und der Autorenschaft. Zu den Kritikern seiner Arbeit gehören der Suhrkamp Verlag, Neal Stephenson, und die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur.

Sebastian Oschatz (*1967) ist Mitbegründer des Frankfurter Medienkollektivs MESO und entwirft dort als Projektmanager und Interaktionsdesigner interaktive Mediensysteme. Mit dem Interaction-Department innerhalb MESO realisierte er unter anderem interaktive Großprojektionen für den Cocoon-Club, den WM-FIFA-Globe, die Expo 2002 sowie interaktive Exponate für Lufthansa, Daimler-Chrysler, BASF und andere. Parallel dazu gründete er eine Entwicklergruppe bei MESO, die die graphische Programmiersprache VVVV zur Echtzeitgenerierung von komplexen Bildwelten entwickelt. VVVV wird bei MESO für zahlreiche freie und kommerzielle Projekte eingesetzt, und auch auf namhaften Festivals wie Ars Electronica oder Transmediale vorgestellt.
Oschatz studierte Informatik an der TU Darmstadt und hatte 1998-2003 einen Lehrauftrag für Interfacedesign an der Universität Ulm, sowie 2003 eine Vertretungsprofessur für Neue Medien an der Kunsthochschule Kassel inne. Als Mitglied der Gruppe Oval veröffentlichte er Mitte der 90er mehrere CDs und Musikvideos und realisierte in der Gruppe Involving Systems zahlreiche interaktive Klanginstallationen.

Weitere Informationen:
www.meso.net
vvvv.meso.net
oval.meso.net
www.involving-systems.com
edu.meso.net