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Geschriebene Welt

50 Jahre | 50 Alumni: Mattis Kuhn

»Ich die Struktur« heißt es einmal. Oder: »Der ästhetische Mensch«. Schön auch: »Eine Welt ist die technische Struktur eines Kunstwerks« oder »Kunst als Prozess des Bewusstseins«. Wer ist der Autor dieser und der vielen weiteren Zeilen, die sich wie eine Aneinanderreihung technik- und kunstphilosophischer Buzzwords lesen? Dass sich diese Frage nicht eindeutig beantworten lässt, ist der Kern von Mattis Kuhns Arbeit »Selbstgespräche mit einer KI«, mit der er vor zwei Monaten sein postgraduales Diplomstudium im Bereich Experimentelle Informatik an der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) beendet hat.

»Ich habe ein komplexes Datenset von mir und meiner Arbeit bestehend aus Zitaten aus Ästhetik, Naturwissenschaften, Informatik, Technikphilosophie und Prosa erstellt und eine KI damit trainiert« erklärt Mattis lächelnd im Videointerview. Dieser auf sein Denken und sein Schreiben hin zusammengestellte Datensatz wurde in eine Schreibmaschine (Textgenerator) gespeist, die ihm während des Schreibprozesses Vorschläge macht und so zum Mitautor wird. Was vordergründig eine maschinelle Schreibhilfe für Literatur oder Theorie sei, beschäftige sich hintergründig mit der Selbst(be)schreibung mittels Technik, so Mattis. Mit der intelligenten Schreibmaschine bringt er Fragen auf den Punkt, zu denen er seit Jahren künstlerisch forscht: Wie verändern wir uns durch Technik, die wir benutzen, wie ändert sich unsere Kognition? Und wie können wir die Technik mitgestalten?

Das Verhältnis von Mensch und Technik sowie Codes spielten schon während seines Erststudiums an der HfG Offenbach eine große Rolle. Früh hat Mattis damit begonnen, per Programmierung Sensoren seiner Raum- und Klanginstallationen zu steuern. Im Interview erinnert er sich an eine Aussage des HfG-Zeichenprofessors Manfred Stumpf, wonach die Welt eine gezeichnete sei. Auch wenn er dem zustimmt, ergänzt er mit Blick auf unsere von Algorithmen durchzogenen Zeit um sein eigenes Credo: »Die Welt ist eine geschriebene Welt«.

Immer stärker rückte im Laufe des Studiums in Offenbach die Frage nach dem Verhältnis vom Code zu dessen sichtbarer Anwendung ins Zentrum. In der Arbeit »sketch_150709b« etwa ging es darum, mit mehr als 30 verschiedenen Programmen das gleiche Bild auf dem Desktop zu erzeugen. »Was lässt sich von dem Code wahrnehmen, was bleibt im Verborgenen?« fragt Mattis im Interview in die Kamera. Das praktische Diplom an der HfG macht er 2016 bei rosalie, der damaligen Professorin für Bühnen- und Kostümbild. Seine Abschlussarbeit »forkbombEnsemble«, eine Soundinstallation, basierte auf einem Netzwerk eines Computerprogramms, das sich exponentiell selbst aufruft, bis das System überlastet ist und abstürzt. Auch die theoretische Arbeit mit dem Titel »Unbestimmtheitsspielräume algorithmischer Geflechte in zeitgenössischer Kunst«, die von Juliane Rebentisch, Professorin für Philosophie und Ästhetik, betreut wurde, wandelte auf der Schnittstelle von Kunst und Technik.

Mit seiner Forschung zu KI ist Mattis am Puls der Zeit, sind es doch Themen, die immer stärker auch öffentlich und künstlerisch verhandelt werden. Durch seine Theoriearbeit jedenfalls wurde Franziska Nori, Direktorin des Frankfurter Kunstvereins (FKV), auf ihn aufmerksam und holte ihn als Kurator ins Boot. Gemeinsam mit ihr konzipierte Mattis die Ausstellung »I am here to learn« (15.2.–08.04.2018). Präsentiert wurden im FKV Künstler_innen, deren Werke die Prozesse der maschinellen Wahrnehmung und Handlungsautonomie thematisieren. »Was kann die Kunst zur KI beitragen?« sei eine Ausgangsfrage der Ausstellung gewesen. Zwei Jahre später kuratierte Mattis mit »How to Make a Paradise« (10.04.–26.08.2020) eine weitere Schau für den FKV. Die Ausstellung, die wegen des ersten Corona-Lockdowns zeitweise geschlossen war, thematisierte den menschlichen Wunsch nach digitalem Eskapismus sowie den Drang nach digitaler Optimierung, auch auf Kosten von Privatsphäre und knapper werdenden Ressourcen.

»Willkommen in der Matrix« möchte man den Filmklassiker der Wachowski-Geschwister zitieren, in dem der Weltcode grün über die Leinwand regnet. Auch Mattis, der aktuell an der KHM als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Experimentelle Informatik lehrt und forscht, sieht dieses alle Diskurse und Medien durchziehende dystopische Potential von Algorithmen. Dennoch ist sein Technikzugang von Konstruktivität geprägt. »Es geht um unser Verhältnis zur Technik und vor allem darum, ein positives und selbstbestimmtes aufzubauen« erklärt er. Das sei nicht immer einfach, auch die Paradise-Ausstellung im FKV sei überwiegend technikkritisch. Doch es müsse neben der Kritik eben auch um Utopien gehen.

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