Trauer um Clemens Mitscher

vor 4 Monaten

»Wenn du zwischen der kreischenden Menge und der Bühne gefangen bist, rast dein Blut direkt auf den Auslöser der Kamera. Bist du gut, kommst du nie wieder raus. Bist du schlecht, erfriert die Mechanik und niemand wird sich an dich erinnern.«

Clemens Mitscher

Clemens mitscher by sophia igel chr5238

Foto: Sophia Igel

Die Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach trauert um den ehemaligen Fotografie-Lehrer Clemens Mitscher, der im Alter von 68 Jahren nach schwerer Krankheit verstorben ist.

Clemens war der HfG seit Mitte der 1980er-Jahre verbunden. Nach einer Betonbauerlehre (1973) und der anschließenden Fotografenlehre (1977) beim Bildarchiv Foto Marburg startete er 1985 sein Studium der Visuellen Kommunikation (heute Kunst) in Offenbach. Er studierte zunächst Experimentalfilm, später Freie Gestaltung mit dem Schwerpunkt Fotografie und absolvierte 1991 mit seiner Diplomarbeit mit dem Titel »Die Verfügbarkeit des Desasters - Bilder neuer Ordnung«.

Rock&Roll + Fine Arts

1993 wechselte er die Seiten an der HfG, wurde vom Schüler zum Lehrer – und zwar zu einem, der Generationen von Studierenden prägte. Er lehrte zunächst künstlerische Konzepte der Fotografie und Freie Fotografie und von 1997 bis zu seinem Renteneintritt 2022 als Lehrer für besondere Aufgaben fotografische Grundlagen innerhalb analoger und digitaler Workflows.

Clemens lebte den Rock 'n' Roll – buchstäblich. Er floss in seinen Adern und manifestierte sich auch in seinem Auftreten, wenn er mit seinen Biker-Boots, Lederjacken, Cowboyhüten und Käppis durch die Hochschulgebäude streifte. Spätestens ab 2010, mit der Initiierung seines »stage-photography«- Fotokurses (später »On Stage«) zum Thema Konzertfotografie, brachte er den Rock 'n' Roll in seine Lehre an der HfG ein.

»Wenn du zwischen der kreischenden Menge und der Bühne gefangen bist, rast dein Blut direkt auf den Auslöser der Kamera. Bist du gut, kommst du nie wieder raus. Bist du schlecht, erfriert die Mechanik und niemand wird sich an dich erinnern«, beschrieb er jenen Sog aus Emotionen und Leidenschaft bei Konzerten.

Über Jahre reiste er mit Studierenden zu diversen nationalen und internationalen Musikfestivals und Konzerten. Die emotionsgeladenen Momentaufnahmen von Rock- und Popgrößen und von Konzertszenerien wurden in dem »On Stage«-Band und in einer Wanderausstellung durch 15 deutsche Bahnhöfe präsentiert, die 500.000 Besucher_innen bestaunten. 

Clemens war ein enthusiastischer Verfechter der Freiheit des künstlerischen Denkens und Tuns, in der Lehre wie auch in seinen künstlerischen Arbeiten. In der Dunkelkammer verwarf er die klassischen Techniken respektlos und malträtierte die Bilder mit Chemikalien, mit Besen, Händen und Füßen, hin zu autonomer Bilderfindung. Er war euphorisch und neugierig; die fundamentalen Brüche und Umschichtungen in der zeitgenössischen Fotografie vermittelte er nicht nur in der Lehre. Auch seine Werke veränderten sich analog zu zeitgenössischen Entwicklungen. Sie befinden sich in Museumssammlungen u.a. dem Museum für Kunst und Kulturgeschichte Marburg oder der grafischen Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart und in zahlreichen Publikationen und Ausstellungskatalogen.
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Clemens war ein Menschenfreund: Er brachte alle mit seiner Begeisterung zusammen und blickte mittels Fotografie auf menschliche Bedürfnisse, Leidenschaft und Exzess. Und er war ein liebevoller Familienmensch, der voller Stolz von seiner Tochter und seiner Frau erzählte.

Wir sind tief erschüttert und sehr traurig. Mit Clemens haben wir, hat die Welt einen fantastischen Menschen und Fotografen verloren, einen hingebungsvollen Lehrer, der mit seiner Leidenschaft ein- und mitnahm.

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