26 Juni 2018

Screening »Wunder der Wirklichkeit«

19:00 Uhr, Aula
  • Teamvordc3 bearbeitet

    Das Team bei den Dreharbeiten zu Bunkerlow

    Foto: Eckhard Kuchenbecker

  • Unbenannt scannen 11
  • Unbenannt scannen 10
  • Unbenannt scannen 08

Das Team bei den Dreharbeiten zu Bunkerlow

Foto: Eckhard Kuchenbecker

Martin Kirchberger studierte seit 1984 unter Helmut Herbst Film an der HfG Offenbach. Kirchberger und sein Filmteam, darunter viele HfG-Angehörige, kamen 1991 während der Dreharbeiten zu »Bunkerlow« bei einem Flugzeugabsturz in der Nähe von Heidelberg ums Leben. Insgesamt starben 28 Menschen, darunter auch viele Statisten. In seinem Dokumentarfilm »Wunder der Wirklichkeit« spürt Filmemacher Thomas Frickel den schrecklichen Ereignissen nach und porträtiert seinen Freund. Der Regisseur wird beim Screening in der HfG anwesend sein.

Aus dem Presseheft

Die verspießte Schlafmützigkeit der achtziger Jahre hat er gründlich aufgemischt – mit spektakulären Kunstaktionen und großflächigen Wandbildern, als Frontmann einer Rockband – und als Regisseur von pseudodokumentarischen Kurzfilmen, die mit Stilmitteln des Dokumentarfilms skurrile erfundene Geschichten erzählten, lange bevor die Medienforschung dafür den Begriff »Mockumentary« gefunden hatte. Martin Kirchberger, der Aktionskünstler, Zeichner, Maler, Schlagzeuger und Filmemacher war vielseitig begabt, und vielleicht würde sein Name heute zusammen mit anderen bedeutenden Regisseuren der deutschen Filmbranche genannt, wenn...

... Wenn bei den Dreharbeiten zu einem satirischen Kurzfilm zum Thema »Sicherheit« nicht das eigens dafür gecharterte Flugzeug abgestürzt wäre. 28 Menschen starben, drei wurden schwer verletzt. Von der Filmcrew nahezu unverletzt blieb nur der Tonmann.

Es war der schwerste Unfall, der sich in Deutschland – aber auch darüber hinaus – jemals bei Dreharbeiten zu einem Film ereignet hat, aber kaum jemand weiß davon. Thomas Frickel, selbst Regisseur und Produzent, zeichnet nach mehr als 25 Jahren ein persönlich gehaltenes Portrait seines Freundes und Kollegen Martin – als Zeitbild der achtziger Jahre in der deutschen Provinz, als Dokument jugendlichen Auf- und Ausbruchs – und zugleich als »Grenzgang auf dem schmalen Grat, der das Erfundene von der Wirklichkeit trennt.« 

Die Filme der Gruppe cinema concetta hat Thomas Frickel ebenfalls wieder zugänglich gemacht. Beim Lichter Filmfestival 2018 wurden diese erstmals in digitalem Kinoformat präsentiert. U.a. dabei auch der Film »Bunkerlow«, bei dessen Dreharbeiten das Unglück passierte.

Plakat wundern web s
Kunst ist leben

Pressestimmen

»Es ist ein persönlicher Film geworden, wie könnte es auch anders sein, aber kein allzu persönlicher, sondern auch einer, der den künstlerischen Provokationen jener Jahre in der Provinz nachspürt und die politischen Verwerfungen Hessens, wie etwa den Kampf um die Startbahn West, nicht auslässt.«

Rudolf Worschech, epd Film

Bunkerlow

Erinnerungen, am 20. Jahrestag einer Tragödie

22. Dezember 1991 – Eine Douglas DC-3 der Classic Wings Airline kommt während eines Rundflugs für Dreharbeiten des Films »Bunkerlow« des HfG-Absolventen Martin Kirchberger in Turbulenzen, streift einen Hügel und stürzt ab. Von den 32 Personen an Bord überleben vier.

Der Kurzfilm »Bunkerlow« war schon fast abgedreht. Das Team bestand aus HfG Studenten und Absolventen, die ihr Diplom bei Prof. Helmut Herbst bereits bestanden hatten. Sie hatten schon einige erfolgreiche Kurzfilme miteinander gedreht, waren ein eingespieltes Team und Freunde. Nun hatte der Regisseur Martin Kirchberger für einen satirischen Kurzfilm mit dokumentarischem Touch auf der Basis einer fiktiven Geschichte seines Kollegen Klaus Stieglitz eine kleine Filmförderung aus Hamburg erhalten; und wieder kamen alle, um zu helfen. Der Kameramann Ralf Malwitz, der gerade ein Aufbaustudium in Los Angeles absolvierte, reiste an, sein Assistent Christian Deubel studierte noch an der HfG, der Tonmann Eckhard Kuchenbecker arbeitete gerade für die Serie »Mit Leib und Seele« – also drehte man meist an Wochenenden, da dann auch die aus der Nachbarschaft des Regisseurs aus Rüsselsheim stammenden Laiendarsteller Zeit hatten. Auch das Flugzeug im Zentrum des Films, ein historischer Oldtimer Baujahr 1942, der werktags für Firmenevents ausgebucht war, konnte dann am Boden für die Dreharbeiten genutzt werden.

Es fehlte nur noch eine kleine Sequenz im Cockpit des sogenannten Rosinenbombers, ein kurzer Dialog zwischen Pilot und Copilot, und den wollte man mit bewegtem Hintergrund drehen, richtig fliegen. Für die am Film beteiligten Darsteller war dies lediglich ein Rundflugerlebnis, denn in der Passagierkabine wurde an diesem Tag nicht mehr gedreht. Der Tonmann Eckhard Kuchenbecker hatte zu Beginn der Dreharbeiten diverse Mikros im Flugzeug fest installiert, sodass er an seinem Arbeitsplatz in der Toilettenkabine alles auf seinem Tonbandgerät mitschneiden konnte. Diese Kabine war auch während der Drehtage in der am Boden stehenden Maschine sein Arbeitsplatz, um nicht ins Bild zu geraten. Der Tag des Rundflugs begann mit einer Diskussion, dass er nicht auf der Toilette mitfliegen könne, da es sich dort um einen nicht versicherten Sitzplatz handele. Aber die Kabel waren verlegt, die Plätze besetzt, die Zeit drängte und mit den Worten »... was soll denn schon passieren« entschied man sich, zu fliegen. Um 11:11 Uhr erhielt die voll besetzte DC-3 Propellermaschine die Startfreigabe. Fünf Minuten später verabschiedete sich die Flugsicherung von den Piloten, die die DC-3 fortan unter Sichtflugbedingungen flogen, so dass die Maschine nicht mehr auf den Monitoren der Fluglotsen dargestellt wurde. Kuchenbeckers Nagra zeichnete alles auf, was von nun an geschah. Der Kameramann Ralf Malwitz hatte beim Abflug gefilmt. Beide Piloten der Lufthansa waren keine Schauspieler, erledigten routiniert ihren normalen Arbeitsablauf und sprachen dabei kleine Dialoge laut Drehbuch. Es sollte wie ein Dokumentarfilm wirken, daher spielten Piloten die Piloten.

Die geplanten Filmaufnahmen waren abgedreht, als sich die Tragödie anbahnte: Der Pilot hatte übersehen, dass der Rhein in der Nähe von Heidelberg eine Kurve macht und folgte bereits dem falschen Fluss, dem Neckar, von Hügeln gesäumt. Im Tal stauten sich die Wolken und plötzlich war die Sicht weg. Als die Maschine sich in die Kurve legte, um wieder aus der Wolke herauszufliegen und den Rückflug anzutreten, streifte sie die Baumwipfel des Hohen Nistler und zerschellte im Wald um 11:38 Uhr. »Plötzlich schnellte mein Equipment an die Decke« erinnert sich Eckhard Kuchenbecker und daran, dass er sich irgendwann über die Stille wunderte und die Tür seiner noch intakten Toilettenkabine öffnete, jedoch nicht ins Flugzeug blickte sondern in einen Wald. Fast unverletzt versuchte er zu verstehen, was vor sich gegangen war, fand etwas entfernt die Absturzstelle, holte Hilfe. Drei weitere Insassen der vollbesetzten Maschine überlebten schwer verletzt.

Nach langwierigen Untersuchungen wurde nicht zuletzt anhand der unversehrt aufgefundenen Tonbänder und des Filmmaterials der Unfallhergang rekonstruierbar. Mit der Summe, die die Lufthansa den Hinterbliebenen anschließend zahlte, gründeten diese gemeinsam die Stiftung Cinema Concetta Filmförderung, um die Arbeit der Verunglückten weiterzuführen und ihr Andenken zu wahren. Die Rüsselsheimer Filmtage für den satirischen Film finden in diesem Jahr zum 18. Mal statt und bieten jungen Filmemachern ein hochkarätiges Forum mit Preisgeldern zur Förderung ihrer Arbeiten.

Der Film »Bunkerlow« wurde von Karin Malwitz, der Schwester des Kameramanns, und der Cutterin Renate Merck später fertig gestellt. Als er zum ersten Mal auf den Hamburger Kurzfilmtagen 1993 präsentiert wurde, amüsierte sich das Publikum köstlich, weil die tragischen Umstände nicht bekannt waren. Besonders bei der Hinweistafel auf den Tod des Teams im Abspann wurde kräftig gelacht, denn im Film werden Überlebensbunker verkauft, und so »bezog das Publikum die Nachricht von der Nichtmöglichkeit des Überlebens in die Handlung ein«. [1] Während der Frankfurter Filmschau im Filmmuseum 1993 blieb der traumatisierten Szene das Lachen im Hals stecken. Heute ist dieser satirische Film einerseits ein Stück Filmgeschichte, andererseits so aktuell wie vor 20 Jahren, denn er spricht Themen an, die uns gerade jetzt wieder intensiv beschäftigen. Wir können uns also in jeder Hinsicht von diesem bemerkenswertem Team inspirieren lassen und das tun, was sie damals mit dem Film erreichen wollten: nachdenken, über die eigene Situation lachen und Überlebensbunker bauen.

Zum Andenken aufgeschrieben von Jos Diegel, Aufbaustudent, Prof. Rotraut Pape, Karin Malwitz und Eckhard Kuchenbecker (alle HfG Film) nach einem Gespräch am 18.03.2011

[1] Aus: »Realfilm, letzte Schritte. Lust und Frust der Hamburger Kurzfilmtage«

Kuhlbrodt fr 1993 kritik bunkerlow

Dietrich Kuhlbrodt, Frankfurter Rundschau 7.6.1993