Rike Zöllner
Von Kostümbild zu Kostümereignis: das dramaturgische Potenzial von Kostüminteraktionen
Fachbereich Kunst
Davon ausgehend dass eine Darstellung mit dem Auftritt von Performer:innen beginnt, hat Kostüm, dem Körper verbunden, eine nicht zu vernachlässigende Bedeutung innerhalb des theatralen Zeichengefüges und prägt den ersten Eindruck einer Inszenierung. Paradoxerweise erhalten Bühnenkostüme trotz dieser Zentralstellung wenig kritische Beachtung. Oft werden sie in handwerklichen oder historischen Kontexten beleuchtet, oder laut Rachel Hann als „Symptom of bodily representation“ reduziert. Doch nicht nur in ihrer Rezeption, auch innerhalb des theatralen Produktionsprozesses ist Kostümbild immer noch eines der am letzten herangezogenen und oft sogar vergessenen Elemente.
Unter der Herrschaft von Text, Choreografie oder Musik haben Kostüme multiple Funktionen: sie bedecken, verkleiden und schmücken, doch tun sie dies durch die Art und Weise wie sie von Zuschauer:innen gesehen werden. Kostüme werden als illustratives und verbildlichendes Element herbeigezogen um auf der Bühne Bilder entstehen zu lassen. Doch so werden nur selten die multisensorischen Handlungsmöglichkeiten von Kostümen ausgeschöpft: denn auch durch ihre Art des Bespielens und ihrer Inszenierung können Kostüme wichtige dramaturgische Impulse liefern.
Nicht zuletzt seit der Definition von post-dramatischem Theater durch Hans-Thies Lehmann haben die einzelnen Theatermittel eine neue Beachtung erfahren. Besonders das Bühnenbild hat sich unter kritischer Hinterfragung als eigenständige Disziplin weiterentwickeln können, und inzwischen ist es keine Seltenheit mehr wenn Bühnenbilder szenisch bespielt werden und so ihnen ganz eigene Dramaturgien entstehen lassen. Im Gegensatz dazu hat sich Kostümbild von seiner indexhaften Macht einschüchtern lassen und ringt mit einer klaren Definition. Doch immer mehr zeitgenössische Wissenschaftlerinnen, so z.B Aoife Monks, Donatella Barbieri oder Sofia Pantouvaki beschäftigen sich mit der Wirkung von Kostümen auf der Bühne. Damit begleiten sie ein wachsendes Interesse an Kostümen die mehr sein wollen als Illustrationen, und gleichzeitig den Anspruch erheben dass Kostümbild sich als eigenständige Disziplin in Abgrenzung zu Szenografie aber auch zur Mode behaupten kann.
In diesem Kontext entstehen seit einiger Zeit immer öfter Performances in denen das Kostüm als Ausgangspunkt und Kernelement behandelt wird. Solche sog. costume-led performances lassen Kostüm über seine bildliche, schmückende Funktion heraustreten und stellen sich der Herausforderung dass sie mehr als nur die Funktionen des Kostüms inszenieren. Die theoretische Erarbeitung dieser Thematik ist bisher jedoch minimal und wird in den wenigen Analysen hauptsächlich als Eigenart der Tanzwissenschaften verstanden. Als Teil meiner Arbeit möchte ich die komplexe Beziehung zwischen Bild und Kostüm beleuchten und hierbei historische Aspekte hervorheben, die dazu geführt haben dass Kostüm sich immer mehr zu emanzipieren sucht. Gleichzeitig rückt seine Bildermacht und sein Selbstverständnis als kleidend in den Hintergrund. Im Fokus meiner Analyse sollen westlich geprägte Darstellungsformen liegen, aber auch kulturelle Phänomene die diese Formen geprägt haben. Diese Phänomene betrachten Körper und Darsteller:innen als zentrales Material ohne diese verkleiden zu wollen und erlauben somit Kostüm als eigenständiges Performanceelement zu beschreiben, welches seine Beziehung zum Körper immer wieder neu ausloten kann. Innerhalb meiner theoretischen aber auch besonders der praktischen Forschung möchte ich gezielt untersuchen, welche Möglichkeiten Kostüme haben, ganz eigenständige Dramaturgien zu schaffen. Wie können Kostüme nicht nur auf bildlicher Ebene kommunizieren, sondern als bespielte, interaktive Elemente ihre multi-sensorische Kraft nutzen? Leitend für meine Recherche soll die Fragestellung sein, inwieweit eine vom Kostüm ausgehende Dramaturgie narrativ wirksam sein kann: kann Kostüm die treibende Kraft des Textes sinnvoll ersetzen?
Solche Arten der Kostümnutzung können vielfältig sein und sind somit nicht nur in westlich geprägten Tanz- und Performancekontexten zu finden. Wenn Kostüm als Teil eines theatralen Netzwerkes verstanden wird, das als eigtl. lebloses Objekt durch andere Elemente wie Raum, Zeit oder Bewegung animiert werden kann, eröffnen sich eine Vielzahl an Interaktionsmöglichkeiten die das Begriffsverständnis von Kostüm über seine bildliche Macht hinaus erweitern können. Das Kostüm kann sich innerhalb einer dynamischen Beziehung entwickeln sowie behaupten, und schafft so Ereignisse statt arretierter Momente. Die einzelnen Aspekte, wie z.B. die Wirkung von Kostüm auf den Körper, oder auch die Dynamik zwischen Kostüm und Raum, erlauben dahingehende interdisziplinäre Bezüge deren Betrachtung ich als für das Kostüm bereichernd in meine Arbeit einbetten möchte.
Betreuung Theorie: Prof. Dr. Christian Janecke
Betreuung Praxis: Prof. Heike Schuppelius
Vita
Rike Zöllner arbeitet seit über zehn Jahren als freischaffende Kostümbildnerin in den Bereichen Tanz, Performance und Oper europaweit. Sie hat in Großbritannien Kostümbild (MA) studiert, sowie in Frankreich Literatur- und Theaterwissenschaften (BA). 2019 erhielt sie den Honorary Associate Titel des Royal Welsh College Of Music And Drama. Vergangene Projekte u.a. am Royal Opera House London, Malmö Opera sowie mit Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Seit Oktober 2022 arbeitet Rike Zöllner als Wissenschaftliche Mitarbeit im Fachbereich Kunstgeschichte.
private
Out of the spotlight: seven of dance's hottest hidden talents
Projekte
Auswahl
New Piece I / Seit Sie Dimitris Papaioannou for Tanztheater Wuppertal Pina Bausch (Mitarbeit)
The Lost Thing Ben Wright, Royal Opera House and Candoco Dance Company
Hot Mess Theo Clinkard, Candoco Dance Company
Ludo Caroline Finn, NDCWales
Sarabande Sasha Amaya, Sophiensaele Berlin
Sick Bed Series Zinzi Buchanan, Fayer Koch, LOFFT Leipzig
This Bright Field Theo Clinkard, Brighton Dome Brighton Festival
Belonging by Ben Wright, Skanes Dansteater at Malmö Opera House
Ritualia Colette Sadler, Scottish Dance Theatre
Wild Thoughts, Andrea Costanzo Martini, NDCWales
Across The Souvenirs Alesandra Seutin, Dance Umbrella London
Neue Stücke 2015 by Tim Etchells, Theo Clinkard and Francois Chaignaud & Cecilia Bengolea, Tanztheater Wuppertal Pina Bausch
Furl Eleesha Drennan, National Youth Dance Wales
Tablemanners Tony Adigun, AvantGarde Dance
Alice In Wonderland Corinna Jarosch, Operahouse Wuppertal






