Thomas Dierkes

Rationalität und Vernichtung Zur Ästhetik des Reichssicherheitshauptamts 1939–1945

Fachbereich Kunst

Junge Männer, oft mit akademischer Ausbildung, gelangten im Reichssicherheitshauptamt (RSHA), einer modernen Superbehörde aus Geheimer Staatspolizei, Kriminalpolizei und dem Sicherheitsdienst der SS, schnell in Positionen mit enormer Machtfülle. Sie waren diejenigen, die den Holocaust ins Werk setzten, die »Vordenker der Vernichtung« (Aly & Heim, 2013). Sie arbeiteten in Teams, formulierten entlang der Kriegsentwicklung dynamisch ihren Aufgabenbereich aus und exekutierten ihre Befehle mitunter auch selbst innerhalb ihrer Einsatzgruppen im In- und Ausland. Anhand von Walter Benjamins Gedanken einer »Ästhetisierung der Politik« möchte ich das Narrativ des RSHA nachvollziehen. Nach Benjamin wird »faschistische Kunst […] nicht nur für Massen, sondern auch von Massen exekutiert. […] Diesem kunstpolitischen Interesse dient die ›monumentale Gestaltung‹. […] Das Material, aus dem der Faschismus seine Monumente, die er für ehern hält, aufführt, ist vor allem das sogenannte Menschenmaterial.« (Benjamin, 1977)Laut Klaus Theweleit hatten die Nationalsozialisten ein ambivalentes Verhältnis zum Massenbegriff. Aus faschistischer Sicht positiv besetzt ist die, in Blöcken formierte, militärische Masse, aus der gleichsam phallisch – »[d]ie Fahne hoch« – ein Führer herausrage. Demgegenüber gibt es die Masse, die die Nazis mal fürchten, mal verachten, von der sie sich abgesondert und ihr überlegen fühlen. Theweleit verknüpft die Masse in ihrer unförmigen Erscheinung des »Flüssigen, Schleimigen, Wimmelnden« (natürlich weiblich konnotiert) mit korrumpierter Masse, Strudel, schließlich einer roter Flut (sic!). Als Gegenpol zu dieser verachteten Masse setzten die Nationalsozialisten den Sammelbegriff der Kultur, in der sich auch direkt die nationale Vernichtungsmission des Deutschen gegenüber dem Rest der Welt konstituiert: »Massenmord und soldatisch-männlicher Kulturbegriff (nicht erst der faschistische) stehen in keinerlei Gegensatz zueinander, im Gegenteil: um die Welt zur Kulturlandschaft zu machen, muß das, was keine Kultur hat, von der Erde verschwinden, so oder so.« (Theweleit, 1980)
Die Ästhetisierung von Menschen und Menschenmassen im Nationalsozialismus erschöpft sich nicht in militärischen Formationen. Die Bevölkerungspolitik der Nazis im In- und Ausland, die ›Auslese des Arischen‹ und ›Ausmerze des Volksfremden‹ lassen sich ebenso als perverses ästhetisches Projekt begreifen.

G. Aly & S. Heim: Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung. Frankfurt am Main: Fischer, 2013.
Walter Benjamin: Pariser Brief (I). André Gide und sein neuer Gegner, in: Ders.: Aufsätze. Essays. Vorträge. Gesammelte Schriften. Band II-1, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1977.
​Klaus Theweleit: Männerphantasien 2. Männerkörper – zur Psychoanalyse des weißen Terrors, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1980.

Betreuende:

  • Prof. Dr. Juliane Rebentisch
  • Prof. Heiner Blum

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