Notari foto

Interdisziplinäres Symposium, Goethe-­‐Universität Frankfurt am Main, 17.–19. Dezember 2017

Echoes of Parthenope: Elvira Notari’s Cinema and Neapolitan Popular Culture

Elvira Notari, die erste italienische Filmemacherin, arbeitete zwischen 1906 und 1930 in Neapel, wo sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Nicola Notari die Produktionsfirma Dora Film führte. Sie verfasste die Drehbücher, führte Regie und produzierte an die sechzig Spielfilme und rund einhundert Dokumentationen und Kurzfilme. Ihre Filme sind allerdings – was angesichts der Überlieferungslage des frühen Kinos nicht ungewöhnlich ist – fast alle verloren gegangen. Elvira Notari und auch ihre Filme sind daher von der Filmgeschichtsschreibung lange vergessen oder zumindest vernachlässigt worden.

Notaris Filme erzählen Geschichten über scugnizzi und piccerelle, guappi und malafemmine, halbwüchsige Burschen und junge Mädchen, die in den Elendsvierteln von Neapel lebten, sich dort auf den Straßen herumtrieben und sich ihren Lebensunterhalt mit Gelegenheitsarbeiten verdienten. Im Kontext des italienischen Kinos dieser Zeit, das von Historienfilmen und den sogenannten Diva-­‐ Filmen dominiert wurde, boten die Filme Notaris einen einzigartigen Einblick in das tägliche Leben der unteren Schichten. Oft wurden ihre Geschichten inspiriert oder direkt übernommen von anderen populären Kulturformen wie Serienromanen, neapolitanischen Liedern, Café­‐Concert Shows oder sog. sceneggiate, einer Musiktheaterform, die im neapolitanischen Dialekt gespielt und gesungen wurde. Diese Filme lieferten zuvor nie gesehene Repräsentationen der neapolitanischen Stadtbevölkerung und wurden daher vom lokalen Publikum auch sehr geschätzt. Mit der Gründung einer eigenen Verleihfirma in den USA, der Dora Film D’America, zirkulierten Notaris Filme auch in Übersee und feierten große Erfolge in der italo-­‐amerikanischen Community.

Ausgehend von den Arbeiten Elvira Notaris und den Produktionen der Dora Film legt das Symposium seinen Fokus auf folgende Themen:

  • Die Rolle von Frauen im Kulturbereich und in der Filmproduktion im neapolitanischen und mediterranen Kontext während der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, unter besonderer Berücksichtigung der Modalitäten der frühen Filmproduktion und des Kinobetriebs als Familienunternehmen.
  • Die Verflechtungen von Kino und neapolitanischer Populärkultur aus den Bereichen Musik, Theater und Literatur (Mundartlieder, Serienromane, sceneggiata und avanspettacolo).
  • Die medialen Repräsentationen von Neapel und des neapolitanischen Lebens zu Beginn des 20. Jahrhunderts, mit besonderem Augenmerk für die kulturelle Topographie und die sozialen Dynamiken der Stadt, in der das Öffentliche und das Private oftmals miteinander verschmolzen.
  • Das Kino als Form des Transits, als Teil der Identitätskonstruktion in Migrationsprozessen, wobei der Darstellung der neapolitanischen kollektiven Imaginationen, populären Traditionen und religiösen Feste und Gebräuche durch das Kino und dessen Funktion innerhalb der migrantischen Communities besondere Aufmerksamkeit gelten soll.

Diese Themen werden aus der Perspektive der Filmgeschichte, der Medientheorie, der Performance Studies sowie der Cultural Studies diskutiert. Mit Blick auf Elvira Notari und ihre Arbeit möchte das Symposium erforschen, welche Aspekte auch heute noch für Kulturproduktion und die mediale Repräsentation relevant sind. Ziel ist es, den Nachhall, das »Echo von Parthenope« zu vernehmen, der Sirene aus der griechischen Mythologie, der es nicht gelang, Odysseus mit ihren Gesängen zu verzaubern – und nach der die alte griechische Siedlung benannt wurde, die später zu Neapel wurde.

Das Symposium ist zudem Teil eines übergreifenden Projekts zu Elvira Notari, das aus einer Kollaboration des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Goethe­‐Universität Frankfurt mit der Kinothek Asta Nielsen e.V., ZDF/ARTE und der Pupille – Kino in der Uni entstanden ist. Dem Symposium voran geht das Filmfestival Transito. Elvira Notari – Cinema of Passage, das vom 14. bis 17. Dezember in der Pupille – Kino in der Uni stattfindet und von der Kinothek Asta Nielsen e.V. organisiert und von Karola Gramann und Prof. Dr. Heide Schlüpmann kuratiert wird. Das Festival präsentiert die erhaltenen Werke Notaris im Kontext anderer Filme, von der Stummfilmzeit bis heute, und setzt diese zueinander in Beziehung. Die Stummfilme werden mit von ZDF/ARTE und der Kinothek Asta Nielsen e.V. in Auftrag gegebenen, neu erarbeiteten Kompositionen präsentiert.

Als Teil des Projekts und im Rahmen des Festivals findet als gemeinsame Veranstaltung der Juniorprofessur für Filmkultur der Goethe­‐Universität Frankfurt und der Kinothek Asta Nielsen e.V. ein Workshop für Studierende des Netzwerkes der hessischen Film­‐ und Medienakademie (hFMA) statt. In diesem Workshop geben die italienischen Musikerinnen und Musiker, welche die Musiken erarbeitet haben und im Festival live aufführen werden, Auskunft über ihre spezifischen Vorgehens-­ und Arbeitsweisen. Die gezeigten Filme von Elvira Notari stellen heute besondere Anforderungen an die musikalische Begleitung: Das in den Filmen verwendete Liedmaterial muss aufgenommen und arrangiert werden, ohne bloße Rekonstruktion zu sein. Zugleich gilt es eine Transferleistung zu erbringen, um die Filme der 10er und 20er Jahre als zeitgemäß erfahrbar zu machen. Ähnliches gilt auch für Filme aus dem Notari­‐Umkreis, die ebenfalls die neapolitanische Kultur der Feste, der Musik, der Bühne aufnehmen. Der Workshop wird moderiert von Nina Goslar, ZDF/ARTE, die für zwei Notari-­‐Filme Musik in Auftrag gab und deren Entwicklung begleitete, sowie von der Musikwissenschaftlerin und Musikerin Simona Frasca. Von ihrer Arbeit berichten der deutsche Komponist Michael Riessler, die italienische Sängerin Lucilla Galeazzi, der italienische Musiker und Komponist Enrico Melozzi, die neapolitanische Musikerin Dolores Melodia und ihr Kollege Michele Signore, der italienische Komponist Federico Odling und die Stummfilmkomponistin und -­pianistin Maud Nelissen. Sie stehen anschließend für eine offene Diskussion mit den Film­‐ und Musik­‐ Studierenden bereit. Der Workshop findet am Samstag, 16.12.2017 von 9 bis 11:30 Uhr in der Pupille – Kino in der Uni statt. Voraussetzung für die Teilnahme ist der Besuch der Filmaufführungen mit Live Musik, die im Rahmen des Festivals stattfinden.

Das Symposium »Echoes of Parthenope: Elvira Notari’s Cinema and Neapolitan Popular Culture« wird organisiert vom Institut für Theater­‐, Film-­ und Medienwissenschaft der Goethe­‐Universität Frankfurt am Main und koordiniert von der Juniorprofessur für Filmkultur, Prof. Sonia Campanini. Realisiert werden konnte es durch die großzügige Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der hessischen Film­‐ und Medienakademie (hFMA) und der Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe­‐Universität sowie unter der Schirmherrschaft des italienischen Generalkonsulats Frankfurt am Main. Die Vortragsveranstaltungen sind öffentlich. 

Ein Panel des Symposiums wird geleitet von Marc Ries, Professor für Soziologie und Medientheorie an der HfG.