Designtheorie

Das Lehrgebiet vertritt in Lehre und Forschung den Bereich theoriebildenden Wissens zur Essenz und zu den Tätigkeitsfeldern von Gestaltung. Theorie zum Design und Geschichte des Designs werden dabei als korrespondierende Gebiete aufgefasst und forschungs- und quellenorientiert sowohl materiell empirisch als auch ideell bearbeitet. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Vermittlung und der Weiterentwicklung des Offenbacher Ansatzes einer praxisorientierten Theorie der Produktsprache zu.

Der Bereich der Theoriebildung zum und über das Design hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem fast unüberschaubaren Feld geweitet. Damit im Zusammenhang steht auch die Frage nach der Disziplinarität von Design. Ein dringendes Desiderat bildet daher die Möglichkeit, Navigations- und Orientierungsmöglichkeiten durch diese Theorieangebote herzustellen.

Disziplinarität von Design

Eine wichtige Überlegungen zur Disziplinarität von Design hat Jochen Gros 1976geliefert, als er eine disziplinäre, induktive und von den Gestaltern selbst zu entwerfende statt einer interdisziplinären, von anderen Wissenschaftsfeldern determinierte Designtheorie einforderte. Als Erkenntnisgegenstand definierte er dabei zu Recht nicht nur das isolierte Gestaltungsobjekt, sondern die „psychische Objekt-Mensch-Relation“. Das war sicher auch der Zeit geschuldet, als das Psychische breit rezipiert wurde und als Gegengewicht zum sogenannten „kalten Funktionalismus“ aufgezeigt werden sollte.

Analog zur älteren Ikonologie in der Kunstwissenschaft, wird man eine Kontextualisierung und Bedeutungsrelevanz auch bei Designobjekten nicht bestreiten können. Der scheinbare Gegensatz von Gebrauch und Bedeutung der Dinge, um den in den 1920er-Jahren leidenschaftlich gestritten wurde, scheint dabei heute kaum noch Relevanz zu besitzen. Es ist Wolfgang Jonas (1992)[2] nach wie vor zuzustimmen, wenn er von einem Systemmodell spricht, das Realität nicht durch eine Theorie abbildet, sondern als Werkzeuge zur Erschließung des Problemraums sieht, in dem sich „Funktionalismus“ und „Produktsemantik“ als „zwei im ‚System Design‘ kommunikativ erzeugte ‚Eigenwerte‘ der Theoriedynamik in recht enger Nachbarschaft wiederfinden.

Die Begriffe Gebrauch und Bedeutung im Produktdesign sind nicht komplementär sondern reziprok und geht man wie Luhmann oder Habermas davon aus, dass sich Gesellschaft auf Kommunikation gründet, dann ist fraglos nach den kommunikativen Qualitäten der Dingwelten zu fragen.

Der disziplinäre Gegenstand oder besser der Prozess Design kann dabei aber nicht allein auf die individuelle Mensch-Ding-Beziehung reduziert werden. Über Gebrauch und Bedeutung, über praktische und zeichenhafte Funktion definiert sich das Verhältnis zwischen Artefakt und Individuum, zur, nach Luhmann, kleinsten gesellschaftlichen Einheit, der Kommunikation zwischen zwei Individuen sowie schließlich zum Raum. Raum ist dabei als eigener Faktor zu sehen und meint dabei sowohl den natürlichen als auch den gebauten sowie den ethnologischen oder kulturellen, den privaten und öffentlichen und nicht zuletzt den virtuell-medialen Raum. Theorie als Selbstversicherung des eigenen Handelns wird sich dabei sowohl als begründende als auch als nachfolgende, also als kritische Funktion definieren.

Eine probate Grundlage für den Umgang mit Designtheorie ebenso wie für den Designprozess selbst ist die möglichst gründliche Kenntnis der Geschichte des Designs. Dies sowohl dem eigenen als auch anderen Kulturkreisen gegenüber. Weil Design kein Produzieren von selbstreferentiellen Sinnmaterialisierungen ist, sondern ein primär gesellschaftliches Phänomen, ist der gegenwärtige Standpunkt nur durch die Kenntnis des historischen verständlich. Die Geschichte der eigenen Disziplin, also deren Verlauf und Wirkung ist eine bedeutende Voraussetzung zu ihrer Erkenntnis und somit eine wichtige Grundlage von Designwissenschaft.

All dieses historische Wissen ersetzt nicht die aktuelle Theoriebildung, aber es kann die Diskurse und ihre Rezeption nachhaltiger qualifizieren. Auch das Wissen um die „Kritische Theorie“ eines Adorno und Horkheimer ist im Sinne einer kulturindustriellen und konsumkritischen Kenntnis nicht veraltet und der Betrachtung wert. Zur Navigationsfähigkeit gehört dabei sicher auch die Kenntnis weiterer grundlegender soziologischer und philosophischer Theoriemodelle: Kants Grundlagen zur Ethik und Ästhetik, Hegels Begründung der Moderne aus Vernunft, Heideggers Ontologie, Habermas Theorie des kommunikativen Handelns und der kommunikativen statt subjektzentrierten Vernunft, Luhmanns Systemtheorie, Bourdieus und Baudrillards Fragestellungen zu den alltäglichen Dingen.

Tätigkeitsfelder von Design

Designtheorie kann auch die Aufgabe übernehmen, neue Tätigkeitsfelder von Design zu identifizieren. Das experimentelle Design etwa aus dem Umfeld der Kunst hat seine Berechtigung im Hochschulbetrieb und zum Teil auch in professionellen Designstudios. Diese „Maker-Culture", wie es zurzeit heißt, ist fraglos zu beobachten und zu analysieren. Experimente sind ein notwendiger Zwischenschritt auf dem Weg zu einem relevanten Design. Sie werden aber wohl nur selten das weithin Nutzbare sein.

Ein neuer wie ebenso alter Sektor ist diejenige Gestaltung, die sich direkt auf gesellschaftliche Prozesse bezieht. Das kann die heutige Clubkultur ebenso sein wie Mode, digitale soziale Netzwerke oder auch der Bereich eines public design, der jahrzehntelang vernachlässigt und mehr oder weniger der Werbewirtschaft überlassen worden ist. Als Untersuchungsfeld besonders interessant ist dabei der Bereich der komplizierten Auftraggeberlage mit seinen vielen Faktoren, die oft als Verhinderungsmacht wirken können. Hier kann Designforschung als empirische und in diesem Fall notwendigerweise transdisziplinäre und praxisorientierte Tätigkeit an Lösungswegen arbeiten.

Auch das Transportation Design einschließlich des breiten Feldes der Signaletik muss heute eine komplexe theoretische Auseinandersetzung erfahren. Da ist einmal der Bereich der regenerativen Energien, der vor allem verschiedene Formen der Elektromobilität in den Designfokus stellt, dann der Bereich der Automation und der Assistenzsysteme aber auch Sharing-Modelle und Transport-Mixtures, die technisch und gestalterisch noch völlig am Anfang stehen.

Als fast klassischer Bereich von gesellschaftsorientiertem Design gilt der Gesundheitsbereich mit Themen wie Barrierefreiheit und Substitutionsprodukten für körperliche Defizite. Gerontologisch gesehen gewiss ein großer Zukunftsbereich.

Schließlich bleibt das Thema Produktvermeidung ein praxisorientiertes Fernziel von Designtheorie. Die weltweite Zunahme an potentiellen Konsumenten wird dieses Thema aber schon allein ressourcenbedingt immer wichtiger werden lassen.

Erweiterter Offenbacher Ansatz

Die HfG Offenbach verfügt über eine lange und kritische Theorietradition, die in Deutschland heute fast einmalig ist und die das Wesen dieser Hochschule grundsätzlich bestimmt. Zu nennen sind dabei in der Vergangenheit etwa Richard Fischer, Lore Kramer, Jochen Gros, Dagmar Steffen, Volker Fischer, Bernhard E. Bürdek oder in der Visuellen Kommunikation Hans-Peter Niebuhr und Friedrich Friedl. Zurückkommend auf Jochen Gros ist die Syntaktik, Semantik und Pragmatik, kurzum die ganze Semiotik fraglos ein bestimmendes Element von Dingproduktionen. Aber sie ist es nicht allein. Das Diktum, dass im Mittelpunkt jeder Gestaltung die zeichenhaften Funktionen beziehungsweise die Inhalte und Bedeutungen stünden, ist durchaus zu hinterfragen und sollte um einen aktuellen gebrauchsbezogenen Ansatz erweitert werden.

Bernhard E. Bürdek hat zu einem „Erweiterten Offenbacher Ansatz“ schon Wege aufgezeigt, wenn er als zentrale Kontexte für Produktsprache Ökonomie, Technologie und Kultur identifiziert. Hier wäre noch der Bereich der Ökologie hinzuzusetzen. Und sie sollten mehr als nur Kontexte sein, sondern sie sollten die Produktsprache wesentlich determinieren.

Daher soll im Lehrgebiet auch theoretisch über folgende Themen gearbeitet werden: Über die Rücksetzung von Bedeutungen, ergo um eine Verschlankung der Produktsemantik, über das heutige Verhältnis von Ordnung und Komplexität, gerade auch im Bereich der digitalen Medien.

Designtheorie in Offenbach will induktiv von den Dingen, ihren Interdependenzen und Kontexten ausgehen und nicht den Dingen eine oder gleich mehrere Theorien oktroyieren. Aktuelle Forschungsschwerpunkte im Lehrgebiet sind die Behandlung von Designstrategien und Realisationen im Projekt des Neuen Frankfurt in den 1920er- und 30er-Jahren sowie bei dem Unternehmen Braun von 1955 bis 1995. Zu letzterem kann auf umfangreiches Anschauungs- und Quellenmaterial aus den Sammlungen des Museums Angewandte Kunst zugegriffen werden.  

[1] Jochen Gros, Sinnliche Funktionen im Design. In: form 75 und 76, 1976.

[2]  Wolfgang Jonas, “Produktsemantik – ein auslaufendes Theoriemodell?” Designtheorie-Kolloquium der Bergischen Universität GH Wuppertal 13.2.1992.

Kalender

30. Juni 2015 bis 4. Oktober 2023
30 Juni 2015 Dienstag

Designmythen: Vortrag von René Spitz

19:00 Uhr, Museum Angewandte Kunst
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